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Heft 324-2, Dezember 2023

 


Artikel Seite
Günter Büsing: Schwalbetreffen 2023 in Einbeck 361
Geburtstagsturnier Günter Büsing 75 – Entscheid zum 232. Thematurnier der Schwalbe 362
Michael Barth, Arnold Beine: Pronkinfigur schlägt Schnoebelenfigur (2) 366
Andreas Thoma: Vorwärtsverteidigung (VV) im Proca Anticirce 370
Bernd Gräfrath: Erinnerungen an den Komponisten Paul Bissicks 372
Jakob Leck: Schachprobleme komponieren mit evolutionären Algorithmen 373
Bernd Schwarzkopf, Achim Schöneberg: Romantischer Rückblick auf drei Schwalbe-Originale des Jahres 1924 380
Jörg Kuhlmann: Hinterstellrömer 382
Jochen Schröder: Die Valladão-Challenge 385
Jörg Varnholt: Einige neue Letzter-Zug-Rekorde 401
Ralf Binnewirtz: Über den Loveday-Inder 403
Hartmut Laue: Dies# fiel mir auf (27) 405

 

Romantischer Rückblick auf drei Schwalbe-Originale aus dem Jahr 1924

von Bernd Schwarzkopf und Achim Schöneberg

Achim Schöneberg: Matt in 4 Zügen und Hilfsmatt in 4 Zügen

Im Februar 1924 wurde die "Schwalbe, Vereinigung von Problemfreunden," in Essen gegründet; im selben Jahr erschienen die Schwalbe-Hefte 1-3 (im August, September und Oktober). Bis auf Studien waren in diesen Heften alle Aufgabenbereiche vertreten. Aus den 24 Originalen des Jahrgangs 1924 haben wir drei Aufgaben ausgewählt. Viel Freude beim Betrachten der drei 99-jährigen!

I Ado Kraemer

37 Die Schwalbe 1924

Der Schwalbe gewidmet

wKc1, wDd8, wTh1h3, wLe1, wBc3d4b6, sKg2, sTh5, sLc4, sBf4f7h6

#4(8+6)

Ado Kraemer (23.3.1898-25.6.1972) begann im Alter von 15 Jahren mit dem Komponieren; bis zum Gründungsjahr der Schwalbe hatte er bereits rund 200 Aufgaben veröffentlicht! Unsere Auswahl beginnen wir mit seinem Vierzüger I, der topaktuell ist. Die Aufgabe zeigt das "Schwalbe-Thema", das zurzeit beim 235. Schwalbe-TT gefordert wird (siehe Ausschreibung in Heft 322 / August 2023). 1.Dc8! (droht 2.Dg4#) Le6 2.Da6 (droht 3.Df1#) Tb5 3.Da8+ und nach den Lenkungen nun der doppelwendige Grimshaw Td5/Ld5 4.Da2#/Dg8#. Wir zitieren aus der Lösungsbesprechung: "An die Stelle des Hin- und Her-Fluges tritt der Winkelflug. Das Schachgebot im dritten Zug kann nicht stören, zudem klingt aus den beiden Mattgrüßen aus der Ferne ein erfrischendes Echo! Eine wundervolle Widmung, die sich dem Titelproblem [gemeint ist der berühmte Vierzüger "Eine Schwalbe" von Johannes Kohtz und Carl Kockelkorn, AS] würdig an die Seite stellt."

II Anton Trilling

18 Die Schwalbe 1924

wKh5, wBg2h4, sKh7, sDh2, sSg8, sLh8

h#4(3+4)

Das erste in der Schwalbe erschienene Hilfsmatt II ist das h#4 von Anton Trilling (11.11.1893-16.2.1947), dem ersten 1. Vorsitzenden unserer Vereinigung, mit der schönen Lösung 1.La1 g3 2.Db2 g4 3.Dh8 g5 4.Lg7 g6#. Raumgreifende Züge mit Linienräumung und Bahnung bei Schwarz, der Einfachschritt des wB, präsentiert in Miniaturform! Doch wäre das auch ohne den wBh4 als Minimal darstellbar? Brachial den wBh4 zu entfernen, den wK damit ins Schach zu stellen (wir hätten ein h#4,5 mit der Lösung 1.- Kg5 2.La1 g4 3.Db2 Kh5 4.Dh8 g5 5.Lg7 g6#), war damals undenkbar und wäre heute nur eine dürftige Konstruktionshilfe. Aber wir könnten den wBh4 entfernen, wenn die sD nicht auf der h-Linie stünde. Erstaunlicherweise kann die sD nur auf den Feldern a2 oder b1 platziert werden: Anton Trilling, Version Bernd Schwarzkopf, wKh5, wBg2, sKh7, sDb1, sSg8, sLh8, h#4 (2+4) ; Lösung identisch. Dem weiten Zug der sD von h2 nach b2 und dem eingesparten wBh4 steht ein Idealmatt gegenüber. Wir wissen nicht, ob Anton Trilling das gesehen hat. Und wenn ja, ob er es zugunsten seiner Stellung vorgezogen hätte. In das FIDE-Album für den Zeitraum 1914-1944 wurden insgesamt nur 96 Hilfsmatts aufgenommen. Trillings beeindruckendes h#4 gehörte dazu!

Bernd Schwarzkopf: Erstdarstellung einer Idee im Zweizüger?

III Hans Klüver

49 Die Schwalbe 1924

wKe1, wTa1, wSb7e5, wBb2c2c3c4e2g2g3, sKe8, sTh8, sSa6a8, sBc5c6c7e6e7g7h6

#2(11+11)

Die Überschrift macht vielleicht neugierig auf eine neue Idee im Zweizüger, aber die Aussage ist wie die in einer Werbung: Sie hält nicht ganz, was sie verspricht. Die Forderung der III ist "Matt in 2 Zügen". Trotzdem dürfte man das Problem in Zweizügersammlungen vergeblich suchen.

Die Lösung scheint einfach zu sein: 1.Ta1-d1!?, und gegen die Drohung 2.Td1-d8# hat Schwarz keine Parade -– außer er rochiert. Aber darf er das? Untersuchen wir die Schlagfälle der weißen Bauern:

Die Bauern c3, c4, g3 kamen von a2, d2 und h2 (oder f2); sie haben 4-mal geschlagen. Schwarz fehlen 5 Steine, aber der Lf8 konnte wegen der schwarzen Bauern e7 und g7 nicht von einem weißen Bauern geschlagen werden. Und: Eines der Schlagobjekte war der sBa7, der sich dazu etwa auf a1 umwandeln musste. - Die schwarzen Bauern c5, c6, e6 haben 3-mal geschlagen; Weiß fehlen (außer dem wLf1, den kein schwarzer Bauer schlug - den Grund kennen wir schon) 4 weitere Steine. Damit ist die schwarze Rochade zulässig und eine Widerlegung von 1.Ta1-d1?.

Aber auch die weiße Rochademöglichkeit sieht verführerisch aus. Wenn Weiß rochieren darf, hätte sich der sBa7 nicht auf a1 umwandeln dürfen, sondern auf b1. Dann hätten die schwarzen Bauern 4-mal geschlagen, also auch den ursprünglichen wBf2. (In diesem Fall kam also der wBg3 von h2.) Dieser Bauer musste zuerst auf f8 umwandeln und hatte dabei den sK vertrieben. Also ist in diesem Fall die schwarze Rochade nicht mehr zulässig.

Insgesamt sehen wir: Schwarz darf rochieren, aber dann ist die weiße Rochade unzulässig; Weiß darf rochieren, aber dann ist die schwarze Rochade unzulässig. Die weiße Rochade und die schwarze Rochade schließen sich gegenseitig aus. Damit haben wir die Lösung gefunden: 1. 0-0-0!, und nun hat Schwarz gegen 2.Td1-d8# tatsächlich keine Parade, da seine Rochade unzulässig ist.

Im Vortrag wurde anfangs der Name des Autors nicht genannt; er sollte erraten werden. Aber trotz kleiner Hinweise (Geburtsort Leipzig; Segler kennen seinen Namen als ein dreieckig geschnittenes Segel) gelang das nicht. Der Autor ist Hans Klüver (4.3.1901-26.2.1989), zur Zeit der Veröffentlichung 23 Jahre alt. Einige der Teilnehmer erinnerten sich dann doch an ihn als häufigen Besucher (gemeinsam mit seiner Frau Alice) bei Schwalbetreffen und in Andernach.

Zurück zur Aufgabe. Wir haben gesehen: Auf die Forderung kommt es bei ihr nicht an, sondern auf den Effekt, dass sich die Rochaden gegenseitig ausschließen. Es handelt sich um ein Retrothema. Klüver veröffentlichte diese Aufgabe als erste Retroaufgabe im ersten Jahrgang der Schwalbe innerhalb eines Aufsatzes "Einführung in das Retroschach", der ersten Erwähnung des Wortes "Retro" in der Schwalbe. Er benutzte darin die damals gebrauchten Ausdrücke "Wechsel" und "Kreuzschlag"; in einer Fußnote wurde die Leser aufgeklärt: Gemeint waren Rochade und En-passant-Schlag.

Nach meiner Kenntnis stammt die Erstdarstellung der Idee sich gegenseitig ausschließender Rochaden in dieser Form von Miroslav Havel (7.11.1881-8.7.1958) in einem Dreizüger mit komplizierterer Retroanalyse. Die Quelle dieses Problems war bisher unklar. In der PDB (P0001348) steht The Chess Amateur, Januar 1922; im "Breuer-Buch" (Problem 894) Cas, 1.1.1922. Norbert Geissler hat nachgeschlagen (vielen Dank!): Im Januarheft 1922 von The Chess Amateur (und im Heft davor und danach) ist dieses Problem nicht zu finden.

Der hier gezeigte Zweizüger ist vielleicht die zweite Darstellung dieses Themas. Sie zeigt die Idee elementar, leichter zu verstehen als die damals zwei Jahre alte Erstdarstellung. Damit war sie eine gute Werbung, die sicher auch Anfänger an diese Problemgruppe heranführen konnte - mit der ersten Retroaufgabe im ersten Retroaufsatz in der Schwalbe.

Während seines ganzen schachlichen Lebens machte Hans Klüver Werbung für das Problemschach, mit Aufsätzen, Vorträgen, als Bearbeiter zahlreicher Problemspalten in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, mit Thematurnieren und Preisausschreiben.


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