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Heft 235, Februar 2009

 


Entscheid im Informalturnier 2006, Abteilung Hilfsmatts
Hartmut Laue:
Rudenko - 70
Entscheid im Hemmo Axt - Günter Büsing -
Unruhestand-Kompositionsturnier
Entscheid im 204. Thematurnier
Aktuelle Meldungen
Klaus Wenda: Zum Tod von Helmut Zajic
Godehard Murkisch: Edwin DavidGrivans 6.04.1031 - 31.10.2008
Urdrucke
Lösungen der Urdrucke aus heft 232, August 2008
Bemerkungen und Berichtigungen
Turnierberichte
Buchbesprechnungen

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Rudenko - 70
von Hartmut Laue, Kronshagen

Einer der ganz Großen des Problemschachs feierte seinen Ehrentag, den 70. Geburtstag - und viele Kräfte vereinten sich, um diesen Anlaß gebührend zu begehen. Diesen Eindruck gewinnt man unschwer aus der ganz Valentin Rudenko gewidmeten Ausgabe Nr. 3 des "Problemist Ukraini" 2008. 56 hochglänzende Seiten geben das beeindruckende Ergebnis des Jubiläumsturniers "Rudenko - 70" wieder, dazu auch eine bunte Mischung von Fotos, die den Jubilar zeigen oder betreffen. Ein solches Turnier in 7 (!) Abteilungen darf man mit Fug und Recht als außergewöhnliches problemschachliches Ereignis bezeichnen. Dabei ist die Zahl der Abteilungen eigentlich noch größer: In der #2-, #3-, #4-und s#2-Abteilung war kein Thema vorgeschrieben, jedoch gab es spezielle Auszeichnungen für beste Darstellungen von Themen, die dem Jubilar am Herzen lagen; faktisch bedeutete das, wie der Preisbericht lehrt, eine Aufspaltung der jeweiligen Abteilung in eine thematisch freie und eine thematisch gebundene Sektion, also jeweils quasi eine Verdopplung! Der thematisch gebundene Teil bezog sich dabei jeweils auf folgende Forderungen: #2: Rudenko-Thema: Die Mattzüge aus einer Doppeldrohung in einer Phase werden zu Mattzügen in Varianten einer anderen Phase. #3: Rudenko-Paradox: Schwarz verteidigt sich gegen eine Drohung durch Angriff auf das von der mattsetzenden Figur zu besetzende Feld; Weiß opfert daraufhin diese auf dem angegriffenen Feld. #4: Thema e.p.-Verteidigung: Schwarz verteidigt sich gegen eine Drohung durch Vorbereitung eines e.p.-Schlages als Antwort auf einen in der Drohung vorkommenden Bauern-Doppelschritt. s#2: "Janus"-Thema: Dieselbe taktische Idee des ersten schwarzen Zuges spielt sowohl für die Verteidigung gegen die Drohung als auch für die Motivation des 2. Zuges von Weiß eine Rolle. Das Thema der Abteilung h#2 lautete: Mindestens zwei Satzvarianten müssen durch einen irgendwie gearteten Wechselmechanismus mit einem Lösungsspiel in Beziehung stehen. Auch eine Märchenschach-Abteilung gab es: Hier waren #2 mit Wechselspiel in mindestens 2 Varianten verlangt, in denen jede Partei mindestens einen "Kombi-Bauern" hat; ein solcher unterscheidet sich von einem gewöhnlichen Bauern dadurch, daß er auch seitlich benachbarte Felder kontrolliert. Schließlich gab es eine Abteilung für direkte Mattprobleme, in denen die Diagrammstellung ein Symbol darstellt. Nur in dieser Abteilung war nicht der Jubilar Preisrichter, sondern E. A. Reitzen - aus verständlichen Gründen, denn was war angesichts des Anlasses in dieser Abteilung zu erwarten? Richtig ... Den ersten Preis gewann ein Problem-"Paket" aus 7 Vierzügern von M. Marandyuk, deren Stellungen die Buchstaben des Namens "Rudenko" in kyrillischen Großbuchstaben stilisiert wiedergeben; auch der 2. Platz geriet zu einem solchen "Sendungspreis".
Ein umfassendes Eingehen auf den problemschachlichen Ertrag des gesamten Turniers würde den Rahmen eines "Schwalbe"-Aufsatzes sprengen. Als Selbstmatt-Sachbearbeiter erlaube ich mir daher, mich auf Kommentare zu der Selbstmatt-Abteilung zu beschränken, hierin aber Ausführlichkeit nicht zu scheuen. Bezüglich der anderen Abteilungen seien wenigstens die Spitzenprobleme und ihre Lösungen wiedergegeben:

1 Anatolij W. Slesarenko
V. Rulenko - 70, 2008
1. Preis
2 Wassyl W. Djatschuk
Viktor A. Melnitschenko
V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
1. Preis
3 Wassyl W. Djatschuk
V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
2. Preis
#2 (10+10) #2 (12+8) #2 (11+10)

4 Alexander S. Kusowkow
V. Rudenko - 70, 2008
1. Preis
5 Mikhail Marandyuk
Version: Valentin Rudenko
V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
1. Preis
6 Walerij W. Kopyl
Ewgwnij A. Reitzen
V. Rudenko - 70, 2008
1. Preis
#3 (12+13) #3 (12+8) #4 (9+12)

7 Viktor A. Melnitschenko
E. Migdal

V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
1. Preis
8 Viktor Tschepischnij
V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
1. Preis

9 Anatolij G. Wasilenko
V. Rudenko - 70: Th.-T., 2008
Preis

#4 (9+10) h#2
3 Lösungen
(7+14) #2,
Kombibauern
(7+7)

Lösungen der Aufgaben Nr. 1-9 : Nr. 1: 1.- D~/Dd4(!) 2.Lc3/Dd6#, 1.Lh1? [2.Dd6/5#] Lg2!,
1.Lf3(!)? [2.Dd6#] f4/Kf4 2.Dd5/Lc3#, aber 1.-Dd4!, 1.Le4! [2.Dd5#] f:e4/K:e4/Dd4 2.Dd6/Lc3/ De7#. Nr. 2: 1.Se:d4? [2.c4#, 2.Lc4#] S:e5/L:c6/D:d4 2.Se7+/De6/T:d4#, aber 1.- Sb2!, 1.Df5! [2.Se7#] S:e5/L:c6/D:e5 2.c4/Lc4/T:d4#. Nr. 3: 1.Tc3? [2.Sc7#, 2.Dd6#] L:c3/L:c5 2.Se3/T:c5#, aber 1.- Sc4!, 1.Db5? [2.Sc7+] Lc3/L:c5(!) 2.c6/D:c5#, aber 1.- Tc8!, 1.Tg4! [2.T:d4#] Lc3/L:c5(!)/ L:e3+(!)/L:e5(!) 2.Dd6/Sc7/S:e3/T:e5#. Nr. 4: 1.Tf8! [2.Te4+ Kf5 3.De6#] Sg3/Ta7/T:e7/Te1/Lg8 2.Sd3+/d4+/L:d6+/f4+/S:g6+ Kf5/Kf4/D:d6/D:f4/D:g6 3.Dd5/L:d6/Te4/Sd3/d4#. Nr. 5: 1.- D:f5 2.Lf4+ D:f4/S:f4 3.d4/Sc4#. 1.Lg2! [2.Lf4+ D:f4/S:f4 3.d4/Sc4#] S:f5 2.d4+ S:d4/K:e4 3.Sc4/De6#, 1.- Tc5 2.Sc4+ T:c4/Kd4 3.T:d5/Lb2# (1.- Se3 2.L:e3). Nr. 6: 1.Sa7! [2.Tc6+ D:c6 3.Lb4+ Kd4 4.S:c6#] e3/Tg6 2.T:d5+/L:d5 D:d5 3.b4+/Lb4+ Kc/d4 4.T/Sc6#. Nr. 7: 1.Sc7! [2.Tf4+ Ke5 3.Te4+ S:e4 4.f4#] Lb5/Sb5/c5 2.e7/Kg3/S:d5 3.T:f6+/Te5+/Tf4+ Ke5 4.T:e6/f4/Te4# (1.- Sb5 2.Kg3 S:c7 3.Tf4+ Ke5 4.Te4#). Nr. 8: 1.- Sd4/Sd5/Lg4 2.Sb3/Sc7/De2 Th4/Sc3/Lf5#, 1.S:b3 Sd5 2.Sd4 Sc3# (1.- Lg4? 2.Sd4 Lf5+ 3.S:f5), 1.S:c7 Lg4 2.Sd5 Lf5# (1.- Sd4? 2.Sd5 Th4+ 3.Sf4), 1.D:e2 Sd4 2.Dd3 Th4# (1.- Sd5? 2.Dd3 Sc3+ 3.D:c3). Nr. 9: 1.- b5+/d5+/b6 2.c:b5/c:d5/a8D#, 1.Ld6? [2.Df3#] c:d6/ h1D 2.D:d7/D:h1#, aber 1.-b5+!, l.L:c7! [2.D:d7#] b5+/d5+/b:c7/d:c7 2.c:b6/c:d6/a8D/Df3#.
Es kommt nicht alle Tage vor, daß in einem Turnier gleich zwei Abteilungen für Selbstmatt-Zweizüger laufen! In der thematisch ungebundenen Abteilung spielten, wie man es heutzutage auch erwarten sollte, Wechselthematiken eine beherrschende Rolle. Was es seit Jahrzehnten im direkten Zweizüger in allen denkbaren Variationen gibt, kann im Selbstmattkleid neue Farbe gewinnen. Doch tut es das keineswegs automatisch: Wenn der Mechanismus bloß der eines direkten Zweizügers ist, verbleibt nur der Verfremdungseffekt, eine bei dem Mechanismus nicht gewohnte Forderung anzutreffen; doch diese Art von Überraschung ist schnell abgenutzt und rechtfertigt kaum eine Aufnahme in den Preisbericht. Man durfte also gespannt sein, was bei den ausgezeichneten Aufgaben der jeweiligen Wechselthematik für selbstmattypische Seiten abgewonnen werde.

10 Wassyl W. Djatschuk
V. Rudemko - 70, 2008
1. Preis
11 Erkki A. Wirtanen
Olympiade Leipzig1960
1. Preis
12 Waldemar Tura
Schach-Echo 1964
1. Preis
s#2 (9+12) s#2 (11+8) s#2 (11+8)

Bei dem Siegerproblem Nr. 10 liegt, rein formal betrachtet, zunächst "nur" ein Fortsetzungswechsel in drei Varianten (nämlich 1.- D:b5+/T:a4/f3) vor; das wäre im direkten Zweizüger von heute nicht der Rede wert. Man muß schon genauer hinsehen, um mehr davon zu haben: Die Einschaltung schwarzer Kraft in den ersten beiden Abspielen sowie die Ausschaltung weißer Kraft im dritten Abspiel vermag Weiß zum Selbstmatt auszunutzen: 2.Dc4+/Dd4+/D:e4+ - schon das undenkbar im #2! Aber wie kommt es zu den Fortsetzungswechseln? Nach 1.De1! (mit der Drohung 2.L:e4+) ist es in allen drei Varianten die Abwesenheit der vorher für alles zuständigen wD, die nicht nur eine neue Antwort erfordert, sondern auch möglich macht: Nach 1.- D:b5+ wäre 2.c4+ zwar auch schon im Satz möglich gewesen, aber an der Kraft der wDb4 gescheitert. Ebenso wäre nach 1.- T:a4 bzw. 1.- f3 im Satz 2.T:c5+ bzw. 2.Sc3+ möglich gewesen, aber an der Kraft der wD gescheitert. Zum einen ist gerade die Kraft der wD die Garantin für die Satzspiele, zum anderen ist es gerade die Beseitigung der Wirkung der Dame, die Weiß in der Lösung auszunutzen vermag. Selbstmattypisch ist dieses Doppelgesicht der Rolle der wD, zugleich durch ihre Wirkung (im Satz!) wie auch gerade durch das Fehlen ihrer Wirkung (in der Lösungsphase) zum Ziel zu gelangen. Deswegen ist die Aufgabe interessant, während sie dies durch das bloße Faktum dreier Fortsetzungswechsel allein kaum wäre.
So weit, so gut. Eine weitere Frage ist natürlich, in welchem Maße so ein Mechanismus originell ist. Vergleichen wir einmal den Fortschritt der Aufgabe gegenüber Nr. 11: Nur zwei Varianten gibt es hier (und keine Drohung), und die wD ist im Satz völlig untätig; man muß sich nur deswegen mit ihr beschäftigen, um zu verstehen, warum nach 1.- f5 (im Satz) tatsächlich 2.f3 kommen muß, weil es nämlich der einzige unschädliche Wartezug ist: Die wD könnte allenfalls auf h4 schlagen (weil sonst der dort stehende sB anschließend zöge), aber ausgerechnet von h4 aus würde die wD das Mattfeld f4 kontrollieren. Schon bei Nr. 11 ist es das selbstmattypische Jonglieren mit der Kraft der wD, welches für die Erzeugung der Fortsetzungswechsel zuständig ist. Nach dem Schlüssel 1.D:h4! muß die wD nach 1.- f5 schleunigst wieder wegziehen, da in dieser Variante die Kontrolle von f4 hinderlich ist; dagegen ist dieselbe nach 1.- f:g5 erfolgreich nutzbar (2.Df4+), verhindert allerdings zugleich die im Satz mögliche Fortsetzung 2.f4+.
Nur wenige Jahre nach Nr. 11 erschien Nr. 12, in der wir nun - immer noch mit Zugzwang arbeitend - drei Fortsetzungswechsel haben: Von den Satzspielen 1.- D:b5+/c:b5/f5 2.Dc4+/Dd4+/De4+ führt der die wD entkräftende Schlüssel 1..Dh2! über zu 1.- D:b5+/c:b5/f5 2.c4+/Se3+/e4+. Die Nähe zu Nr. 10 ist frappierend und so augenfällig, daß man kaum glauben mag, daß dazwischen 44 Jahre liegen! Ehe man vorschnell Nr. 12 als Vorgänger zu Nr. 10 bezeichnet, sollte man aber etwas genauer die Unterschiede dieser beiden Aufgaben betrachten: Wirkt nicht das Spiel in Nr. 10 viel farbiger als in den beiden älteren Aufgaben? Woran liegt das? Zum einen gibt es in Nr. 10 eine Drohung. Schwarz genügt nicht einfach der Zugpflicht (was bekanntlich häufig einen etwas faden Eindruck hinterläßt - es sei denn, der Zugzwang kommt als "bombige Überraschung"), sondern er verteidigt sich aktiv. Dabei ist die Variante mit dem Schachgebot 1.- D:b5+ (die genauso in Nr. 12 vorkommt) eigentlich die am wenigsten interessante. Mit 1.- T:a4 ist Schwarz in Nr. 10 darauf aus, e4 zu decken, beseitigt dabei aber "aus Versehen" den wS, dessen Kraftbeseitigung nun Weiß selbstmattypisch ausnutzt; er kann dadurch mit 2.T:c5+ die schwarze K-Batterie zum Abschuß zwingen, die es in Nr. 12 gar nicht gibt! Mit 1.- f3 schließlich eliminiert Schwarz die Wirkung des wLg2 (der doch in der Drohung auf e4 schlagen wollte!) - und erlaubt gerade dadurch die Antwort 2.Sc3+, da der wL nicht nur auf e4 schlagen konnte, sondern auch den sS fesselte. Von all dem kann bei Nr. 12 mangels Drohung keine Rede sein, und doch wird auch schon hier mit einem Springerschach auf einem Nachbarfeld (e3) des wK gearbeitet. Nur wird hier die sD entfesselt, in Nr. 10 dagegen der sS und eine zweite schwarze Batterie aktiviert - sicherlich ein Gewinn an innerer Spannung.
Ein ganz wichtiger Punkt bei Nr. 10 ist jedoch, daß hier der Schlüsselzug erstmals Auswahlcharakter hat; dieser unterstreicht markant die selbstmattypische Idee von der Vorteilhaftigkeit der Ausschaltung eigener Kraft: Wenn Weiß nämlich die Wirkung der wD nicht vollständig auslöscht, gelingt es Schwarz, die irgendwo noch vorhandene Kraft bzw. Masse der wD zu seinem Vorteil zu nutzen: 1.Da5? D:b5+! und nach 2.c4+ ist die sD gefesselt! (Man beachte, wie geschickt das sonst hier unerwünscht ebenfalls widerlegende 1.- T:a4 durch den Verführungsschlüssel ausgeschlossen wurde!) 1.Da3? T:a4!, und es kann nicht 2.T:c5+ folgen, da die (d4 nicht mehr beherrschende) wD das Feld c5 immer noch deckt! 1.Dc3? f3! ist von anderer Art, da nicht die Kraft der wD jetzt stört, sondern ihre Masse; blockiert sie doch jetzt das Feld c3 für den wS. (Dies ist allerdings kein selbstmattypischer Effekt.) Abgesehen von dem zuvor geschilderten Zuwachs an Lebendigkeit des Spiels besteht in den drei Verführungen, in denen sich jede der schwarzen Antworten aus der Lösung jeweils als eine Widerlegung präsentiert, eine besondere Qualität der Aufgabe, die sie ihren über 4 Jahrzehnte älteren Vorläufern voraus hat. Die Konstruktion ist ausgezeichnet. Das einzige Fragezeichen, das verbleibt, ist, ob nicht (mindestens) der Zusatz "nach W. Tura" am Platze wäre. Man sollte sich durch das juristisch infizierte Sinnieren darüber aber nicht die Freude an der schönen Aufgabe vergällen lassen!

13 Wassyl W. Djatschuk
Rudenko - 70, 2008
1. Preis
14 Roman F. Solokotzkij
Rudenko - 70, 2008
Ehrende Erwähnung
15 Wassyl W. Djatschuk
Rudenko - 70, 2008
1. Lob
s#2 (12+9) s#2 (11+10) s#2 (11+10)


In Nr. 13 wird mit Zugzwang gearbeitet. Natürlich muß der wS ziehen, damit er die Batterielinie a8-f3 nicht stört. Nach 1.SbS?, 1.Sa4? steht nach einem Abzug des sS 1.- S~ die Fortsetzung 2.L:d7+ bereit. Verschafft sich aber Schwarz das Fluchtfeld c7, indem er den ziellosen Zug des Springers zu 1.- S:d6(!) verbessert, so nutzt Weiß eben dies, indem er den sK durch 2.b5+ zum Mattzug auf das selbst verschaffte Fluchtfeld zwingt - eine glasklare Motivinversion im Sekundärspiel. Während die Verführung an 1.- Sc5! scheitert, kehren sich nach dem Schlüssel 1.Se6! die Verhältnisse um; das liegt an der Fluchtfeldgabe (d6): Jetzt wird ein beliebiger Zug des sS wegen des vorhandenen Fluchtfeldes nicht mit 2.L:d7+? K:d6!, sondern mit 2.b5+ K:d6# beantwortet. Auch jetzt ist 1.- S:d6(!) demgegenüber eine fortgesetzte Verteidigung, aber mit einer ganz anderen Idee als im Satz: Hier soll der Zug der Verunmöglichung des sK-Zuges nach d6 dienen (mittels Feldblockade). Wieder nutzt Weiß eben dies durch 2.L:d7+, denn da sich Schwarz soeben selbst das Feld d6 verbaut hat, bleibt ihm nur 2.- K:d7#. Äußerlich gesehen, ist dies "nur" ein reziproker Wechsel (jedoch bereits wegen der Sekundärspiel-Vertiefung von gehobener Sorte). Die Einarbeitung der Motivinversion, hier Dreh- und Angelpunkt der Wechselthematik im Sekundärspiel, macht daraus aber ein interessantes Selbstmatt. Es ist wie so oft: Das Selbstmattypische des Mechanismus ist das Entscheidende, die (in Termini des orthodoxen Zweizügers formal benennbare) Wechselthematik dagegen lediglich Konsequenz - allerdings eine attraktive Konsequenz, da sie aus anderem Genre Bekanntes in neues Licht taucht.
Es gibt hier jedoch nicht nur Licht, sondern auch Schatten: Sucht man nach einer Antwort auf die K-Flucht 1.- K:d6, so registriert man plötzlich, daß auf g1 eine wD steht, die bisher überhaupt keine Rolle spielte ... Jetzt schlägt sie einmal zu: 2.Dc5+ S:c5#, spielt aber im übrigen nur die Rolle eines "Grundlinienbauern", der den sBg2 blockiert. Wohl ist einzuräumen, daß die Position nach 1.- K:d6 kaum eine andere Fortsetzung denkbar erscheinen läßt; aber dann ist dies eben eine der ansonsten so intelligenten Matrix bedauerlicherweise innewohnende Schwäche. Die Zeiten, in denen man das "bei einem Selbstmatt nicht so tragisch" fand, sind hoffentlich inclusive der aus jener Formulierung atmenden naiv-despektierlichen Haltung gegenüber dem Genre endlich vorbei! Der Turnier-Jubilar als Richter weist nicht auf diesen, wohl aber auf einen weiteren Schwachpunkt hin, und dieser wäre ohne weiteres zu beseitigen gewesen: Der Verführungscharakter von 1.S~? ist aufgrund der Beliebigkeit schwach. Sieht man aber genauer hin, so stellt man schnell fest, daß der Spielraum der letzteren nur in 1.Sa4? und 1.Sb3? besteht. Um den Verführungsstart eindeutig zu machen, genügt es also, eines der beiden Felder a4, b3 durch einen weißen Stein zu blockieren. Bedenklich wäre es, dafür neues Material zu investieren. Hier aber kann die Rolle des wLa7 (b6 zu decken), ohne weiteres von einem wSa4 übernommen werden. Das kostet nichts mehr und macht 1.Sb3? zur dann eindeutig bestimmten thematischen Verführung. Den wLa7 völlig wegzulassen wäre dagegen nicht nur wegen der damit verbundenen Fluchtfeldnahme (b6) im Schlüssel fragwürdig (wenn auch wegen der Offensichtlichkeit des Schlüsselsteins Sc5 und der gleichzeitigen Fluchtfeldgabe durch 1.Se6! tolerierbar); sondern vor allem bedarf es einer gesonderten Deckung von b6, weil sonst nach 1.- S~ (sowohl nach 1.Sb3 als auch nach 1.Se6) vermöge unseres schon aufgefallenen Unglücksraben der Dual 2.Db6+! vorhanden wäre.
Kombinationen des Bannij- und des Salazar-Themas gibt es im Bereich des direkten Zweizügers häufig, und sie unterliegen stets der Gefahr einer gewissen Blutleere. Die in Nr. 14 angebotene Selbstmatt-Version dazu kann ebenfalls kaum als Werbung dafür dienen: Die einzigen angängigen schwarzen Züge 1.- Lb8, Dh2 zielen beide auf das Feld f4, so daß man sich mit der Absicht, durch 2.Df4+ Selbstmatt zu erzwingen, gern im Schlüssel des wTg5 komplett entledigen würde. Aber wohin soll man ihn ziehen? Die Felder g4 und f5 kommen wegen der damit verbundenen Deckung von f4 (bzw. zusätzlich der Verstellung der wD) nicht in Betracht. Aufgrund der auffälligen Diagonalsymmetrie um die Achse cl-h6 überrascht in keiner Weise, daß 1.Tg3? unvorteilhaft die Linie h2-f4, 1.Te5? die Linie b8-f4 versperrt, folglich mit 1.- D:h2! bzw. 1.- Lb8! widerlegt wird. Daher 1.Df4! Lb8/D:h2 2.Tg3/Te5+. Der Unterschied zu einem #2-Mechanismus besteht allein darin, daß hier die Verstellungen der schwarzen Linien zu meiden, nicht (wie in einem #2) anzustreben sind. In den beiden besprochenen höher rangierenden Aufgaben war demgegenüber der Selbstmatt-Gehalt aufgrund der in ihnen stattfindenden Umdeutungen der Vorteilhaftigkeit/Nachteiligkeit der Wirkung eines Steins wesentlich würziger! Die diagonale Mauer der drei weißen Bauern auf f3, e4, d5 macht zwar einen klobigen Eindruck, ist aber unverzichtbar: Bf3 muß die f-Linie (gegenüber der wD) schließen, Be4 die e-Linie (gegenüber dem wTg5 in der Verführung 1.Te5? sowie im Abspiel 1.Df4 D:h2 2.Te5+), und ohne den Bd5 ginge nach 1.Df4 D:h2 auch unerwünscht 2.Tc5+!.
Die zugegebenermaßen muskulöse Nr. 15 hat dagegen deutlich mehr Frische: Mit 1.T:f7+ bzw. 1.D:c6+ würde Weiß zwar unmittelbar einen sS zum Schachgebot zwingen, doch unter Beseitigung jeweils einer dringend benötigten Deckungsfigur, so daß das Feld d5 bzw. das Feld f6 zugänglich würde. Könnte man die sD zum Schlag auf f3 zwingen, so hätte sie gleich beide potentiellen Fluchtfelder unter Beschlag - aber auch die Felder f7 und c6, so daß erneut beide Schachgebote pariert wären. Das Pikante an der ideenreich erfundenen Matrix ist folgendes: Weiß kann versuchen, eines der Felder f6 bzw. d5 im 1. Zug zu besetzen, um die genannten Schachgebote zu drohen, beordert dabei in jedem Fall die sD nach f3 und unterbindet zugleich jeweils eine der beiden von dort oben beobachteten Deckungsfunktionen (bezüglich f7, c6): 1.Lf6? [2.D:c6+ S:c6#] D:f3 2.T:f7+ S:f7#, aber 1.- c3!. 1.SdS! [2.T:f7+ S:f7#] D:f3 2.D:c6+ S:c6# In der Verführung hat der Zug 1.- D:f3 das Motiv, (für den Fall, daß Weiß seinen Drohzug ausführt) den Zug Df3:c6 zu ermöglichen. Wohl oder übel bringt das mit sich, daß das auf der Linie f3-c6 liegende Feld d5 nochmals überdeckt wird. Da Weiß bereits im 1. Zug die Deckungslinie f3-f7 unterbrochen hat, wird so 2.T:f7+ möglich. Analog deutet sich das Geschehen nach 1.Sd5!, wobei die Rollen der Felder f6 und d5 auszutauschen sind. Die Umdeutung des Zuges 1.- D:f3 von (für Schwarz) nützlich zu schädlich sorgt für die Spannung in dieser Aufgabe, gibt - wie schon die oben zitierten Preisträger - dem Ganzen Raffinesse. Schwarz sorgt dafür, daß seine Dame zur Wirkung kommt - und Weiß macht sich gerade diese Wirkung zu Nutze. Wieder liegt eine Motivinversion vor, wenn auch eine "im weiteren Sinne", da die Wirkung der sD von Weiß bezüglich eines anderen Feldes ausgenutzt wird als innerhalb des schwarzen Verteidigungsplans. Es entsteht ein taufrischer Le Grand-Mechanismus, bei dem das Selbstmattypische originär den Kern der Konstruktion ausmacht. Zwar gibt es in Verführung und Lösung nur eine Variante - aber wieviel Selbstmatt-Gehalt!

16 Walerij W. Kopyl
Ewgenij A. Reitzen

Rudenko - 70: "Janus", 2008
Preis
17 William A. Shinkman
Lebanon Herald 1877
1. Preis
18 Jan A. Rusek
Sahs 1963
1. Preis
s#2 (8+14) s#2 (9+11) s#2 (10+12)


Die themagebundene Selbstmattzweizüger-Abteilung erregte meine besondere Neugierde: Hatte ich doch selbst beim 6. WCCT das Selbstmatt-Thema vorgeschlagen, das heute "Motivinversion" genannt wird, und - Teilnehmer des Schleswig-Holsteinischen Problemkreises können es bezeugen - eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt, es "Janus-Thema" zu nennen. Und jetzt fand sich, völlig unabhängig davon, gerade diese ja nicht alltägliche Bezeichnung in der Ausschreibung von Valentin Rudenko! Offenbar hatte er dieselbe Assoziation gehabt: Jedes Ding hat zwei Seiten ... Im Selbstmatt kann eben ein von einer Partei zu seinem Nutzen betrachteter Zug von der anderen Partei zu ihrem Nutzen ausgeschlachtet werden. Der doppelgesichtige Kopf des römischen Gottes Janus steht symbolhaft für gerade diese Zwiespältigkeit; daher paßt dieser Name zu dem Thema. Allerdings hatte ich damals den Eindruck gewonnen, die eigentliche Stärke der Idee werde sich erst bei Drei- und Mehrzügern erweisen. Deswegen wurden im 6. WCCT Selbstmatt-Drei- und -Vierzüger verlangt, jedoch keine -Zweizüger.
Das ganz im Gegensatz dazu auf die Zuglänge 2 beschränkte Rudenko - 70 - Turnier brachte in Sachen Janus allerdings nur einen einzigen Preisträger hervor: Nr. 16, eine zwar gut konstruierte Aufgabe, die aber im Stil ansonsten eher an längst vergangene Zeiten erinnert: Man sieht keine Wechsel-Thematik, keine Verführungsthematik, keine Zyklen - inhaltlich einfach gar nichts, was die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aufnimmt. Schon Shinkman experimentierte farbenfroh mit einer weißen K-Batterie im s#2, siehe etwa Nr. 17, deren Lösung es an Frische durchaus mit Nr. 16 aufnehmen kann: Nach dem schönen Schlüssel 1.Db6! mit der Drohung 2.Dd4+ ist das Verteidigungsmotiv von 1.- a:b6 im "Theorie-Deutsch" die Verunmöglichung des Zuges Db6-d4+ (technisch hervorgerufen auf die simpelste Weise: durch Wegschlagen des Akteurs). Was aber nutzt Weiß an dem Verteidigungszug aus? Es folgt 2.Kb4+ Td4/T:b2#, und wir sehen, daß es die im Verteidigungssinne ganz unerhebliche Verunmöglichung des Zuges Kb4-c5 ist, die das Nutzungsmotiv darstellt. Während im direkten #n das Auseinanderklaffen von Verteidigungs- und Nutzungsmotiv (mit Ausnahme von Pattkombinationen) geradezu denknotwendig ist, macht das Selbstmatt die Übereinstimmung derselben möglich und zu einem interessanten Phänomen mit paradoxem Gehalt (eben die Motivinversion). In Nr. 17 sehen wir davon weder nach 1.- a:b6 etwas noch in der Nebenvariante 1.- S:f6 (Verteidigungsmotiv: Ermöglichung des Zuges Ke5-f4) 2.Dc7+ (Nutzungsmotive: Verunmöglichung der Züge Se8:c7, Se8-d6, Ke5:f6) Td6#, ebensowenig in der zweiten, "krönenden" Hauptvariante: Das Verteidigungsmotiv von 1.- Lf2 ist nicht, dem wK das Feld d2 zugänglich zu machen, sondern die Wirkung des sL von e1 auf das Feld c3 aufzuheben. Verunmöglicht wird also die sich nach 2.- T:d4 eröffnende Zugmöglichkeit Le1:c3 (von der man ja nur deswegen nicht spricht, weil das würdelose Geschlagen-Werden im Falle des vornehmen Königs per Sonderregelung unterbunden wird). Zusätzlich zu dem jetzt fehlenden Schachgebot - aber das ist danach nur eine formale Vervollständigung der Motiv-Analyse - eröffnet 1.- Lf2 nach 2.Dd4+ jetzt auch die ebenfalls kein Matt ergebende Zugmöglichkeit 2.- L:d4+; und da auch diese allein bereits die Drohung widerlegen würde, muß man bezüglich der Verteidigung gegen die weiße Drohung im Zug 1.- Lf2, streng genommen, ein Doppelmotiv konstatieren (was man, in sinnvoller Anlehnung an neudeutschen Sprachgebrauch, durchaus als "Motivunreinheit" bezeichnen könnte). Festzuhalten bleibt, daß das, was von Weiß nach 1.- Lf2 genutzt wird, von den beschriebenen Verteidigungmotiven vollständig abweicht: Das Nutzungsmotiv ist die Ermöglichung des Zuges 2.Kc3:d2+, die als bloßer Begleiteffekt der Verteidigungsmotive von 1.- Lf2 separat von diesen in Erscheinung tritt.
Nr. 16 enthält eine Variante, die an die zuletzt beschriebene von Nr. 17 erinnert: Nach 1.c4! droht 2.L:e5+ f:e5#, und jede Fluchtfeldbeschaffung für den wK ist dagegen eine Verteidigung. Der Ablauf der Variante 1.- Td2 2.K:e3+ T:d3# nun wirkt auf den ersten Blick wie eine Diagonalversion der Shinkman-Variante 1.- Lf2 (allerdings ohne Aufgabe einer Batterie-Stellung). Im Unterschied dazu ist aber hier das Verteidigungsmotiv von 1.- Td2 (gegen die Drohung 2.L:e5+) die Ermöglichung des Zuges 2.Kd4:e3 und damit zugleich das weiße Nutzungsmotiv: Da haben wir sie, ganz anders als bei Shinkman: die zuggenaue Motivinversion! Ähnlich nutzt Weiß auch nach 1.- b3/f:g4 das Verteidigungsmotiv des Schwarzen, nämlich die Ermöglichung eines weißen K-Zuges, durch 2.Kc3+/Ke4+ mit der Folge 2.- D:d3#. Ein besonderer Pfiff der Aufgabe liegt in dem weiteren Abspiel 1.- D:a4 2.c5+ K:c6#, denn das Motiv von 1.- D:a4 ist die Ermöglichung des Zuges K:c6 (um auf den Drohzug 2.E:e5+ nach c6 zu laufen); aber daß dieser Zug nun möglich geworden ist, ist das, was Weiß mit 2.c5+ dankbar ausnutzt! Damit wird auch das Motiv von 1.- D:a4 genau invertiert, diesmal erhält der schwarze König ein Fluchtfeld und wird zum Batteriestein. Die beiden im Preisbericht angegebenen Satzvarianten 1-b:c3/Db3 2.K:c3+/L:e5+ D:d3/f:e5# erscheinen etwas unmotiviert, doch im übrigen handelt es sich ohne Zweifel um ein ausgezeichnet konstruiertes, reichhaltiges Stück, das auch 130 Jahre nach Shinkman noch interessant ist. Nur hat man leider nicht gerade das Gefühl, daß hier in die Zukunft gewiesen wird!
Tatsächlich war es gerade eine solche Verwendung einer weißen K-Batterie, wie sie in Nr. 16 zur Realisierung des Vorwurfs der Motivinversion benutzt wurde, die seinerzeit bei der Themenstellung für das WCCT einmal auslösende Funktion gehabt hatte, nämlich in Form von Nr. 18; genau diese Aufgabe hatte seinerzeit für die allgemeine Idee von der zuggenauen Motivinversion Pate gestanden: Nach 1.a3! [2.Dc6+] ist einziges Motiv des Zuges 1.- Sc3, den weißen K-Zug Ke5:d4 zu ermöglichen (so daß 2.Dc6+? K:c6+ kein Matt ist). Weiß, nicht faul, nutzt genau diese neu geschaffene Möglichkeit: 2.K:d4+! und erzwingt das Abzugmatt 2.- Sd5#. Ebenso bezüglich f4: 1.- Sg3 2.K:f4+ Sf5#. Der K-Batterie-Mechanismus als Grundlage einer Motivinversion ist damit mindestens 45 Jahre alt; persönlich hätte ich gehofft, daß nicht gerade genau dasjenige Prinzip an der Spitze landen würde, das mir als historische Keimzelle der Idee (Nr. 18) galt. Der Preisträger des Turniers weiß aber die Frische der Shinkman'schen Konzeption mit dieser betagten Art von Motivinversion überraschend zu vereinen und übertrifft selbstredend die beiden anderen zitierten Probleme deutlich an Reichhaltigkeit.

19 Hartmut Laue
V. Rudenko - 70: "Janus", 2008
1. Ehrende Erwähnung
20 Udo Degener
Springaren 1999
2. Ehrende Erwähnung
21 Otto Burr
V. Rudenko - 70: "Janus", 2008
2. Ehrende Erwähnung
s#2 (11+12) s#2 (8+13) s#2 (12+14)

Möglicherweise besser geeignet für eine Verbindung mit moderneren Ideen ist die "farbvertauschte Version" der eben geschilderten Motivinversion, wie sie in Nr. 19 zu sehen ist: Es geht hier um eine schwarze K-Batterie, die Weiß nur deswegen noch nicht sofort zum Abschuß zwingen kann, weil der sK nach keinem der Züge 1.Dc3+, 1.Db5+, 1.Dc4+, 1.Db3+ die wD schlagen kann. Der Versuch
1.d:e3? [2.Dc3+] kann aber von Schwarz eben deswegen mit 1.- T:e2! widerlegt werden, weil Weiß dem Feld c3 die Deckung durch den wBd2 entzogen hat, denn sonst ginge nun 2.Db5+. Ähnlich verhält es sich mit dem Versuch 1.Ld1? [2.Db5+], um dem Feld b5 die störende Deckung zu nehmen: Er scheitert an 1.- e:d2!, weil nun Weiß bei 2.Dc3+? die Deckung von b5 eben doch gebraucht hätte! Dagegen kann Weiß sowohl aus 1.- T:a5 als auch aus 1.- T:d2 Kapital schlagen: 2.Dc4+ K:c4# bzw.
2.Dd4+ Kb5/T:d4#. Weiß darf nicht selbst die störende Deckung von c3 bzw. b5 beseitigen, sondern muß Schwarz dies machen lassen. Dies gelingt durch 1.g:f5! Angesichts der Drohung 2.De4+ sucht Schwarz sich die Felder c3 bzw. b5 zugänglich zu machen: 1.- e:d2/T:e2. Daß nun nach Wegzug der wD dem sK das Feld c3 bzw. b5 zugänglich ist, ist gleichzeitig Verteidigungsmotiv wie Nutzungsmotiv, denn Weiß weist jetzt das Doppelgesicht jener Janus-Züge nach durch 2.Dc3+/Db5+ K:c3/K:b5#. Man beachte, daß die Drohzüge (Dc3, Db5) der Verführungen als Antwortzüge in der Lösung auftauchen, und zwar jeweils nach den ehemaligen schwarzen Widerlegungen (e:d2, T:e2) der Verführungen in vertauschter Zuordnung; die Motivinversions-Matrix bringt also als Geschenk das Hannelius-Thema mit sich. Zusätzlich hält die (im Lösungsspiel ebenfalls Motivinversion zeigende) Variante 1.- T:a5 2.Db3+ K:b3# gegenüber der Verführung 1.Ld1? einen Fortsetzungswechsel bereit. Schließlich sind zwei Nebenvarianten zu erwähnen, die den Unterschied zwischen Motivinversion im engeren Sinne und im weiteren Sinne deutlich machen: Das Verteidigungsmotiv von 1.- Dh4 besteht in der Ermöglichung des Zuges Dh4-e4. Der Einsatz der Kraft der sD auf der 4. Reihe wird nun von Weiß genutzt, aber nicht auf dem Feld e4, sondern auf dem daneben liegenden, durch den schwarzen Damenzug von dieser jetzt ebenfalls erreichbaren Feld d4: 2.Dd4+ D:d4#. Ähnlich postiert Schwarz mit 1.- Dg2(h1) seine Dame auf der weißfarbigen Diagonalen, um den Zug Dg2(h1)-e4 zur Verfügung zu haben. Weiß nutzt eben diesen diagonalen Einsatz der sD, aber nicht auf dem Feld e4, sondern auf dem Feld c6: 2.Sc6+ D:c6#. Im Preisbericht werden die beiden letzteren Varianten als reine Nebenvarianten nur in Klammern aufgeführt. Das deutet darauf hin, daß auch Valentin Rudenko das Thema nur im engeren Sinne, also zuggenau verstanden wissen wollte. In der Tat ist auch nur dann der Effekt wirklich prägnant und begrifflich scharf faßbar. Die beiden Varianten erinnern an Nr. 15, in der ebenfalls eine sD zum Einsatz gebracht wird und sich das Feld der weißen Nutzung (d5 bzw. f6) von dem des schwarzen Verteidigungsmotivs (c6 bzw. f7) unterscheidet.
Für eine motivreine Darstellung des "Janus"-Effektes in Nr. 19 war es natürlich nötig, eine Drohung durch einen Zug der wD zu finden, der sowohl die Deckung von c3 als auch die von b5 aufgibt. Denn nur dann ist gewährleistet, daß die Entfernung des wBd2 bzw. wLe2 als Verteidigung wirklich dem Ziel der Fluchtfeldbeschaffung auf c3 bzw. b5 dient und nicht etwa aus irgendeinem anderen Grund erfolgt. Als Drohfeld bot sich damit eigentlich nur e4 an. Die Freude über die tatsächliche Realisierung wurde bald gedämpft, als ich am Ende feststellen mußte, daß die Matrix - wie oben beschrieben -das Hannelius-Thema zur Darstellung bringt: Wußte ich doch genau, daß die schon vor vielen Jahren zu beobachtende sportliche Emsigkeit, Themen des Direktmatts in das Selbstmatt zu übertragen, damit die Gefahr einer Vorgängerschaft heraufbeschwor. In der Tat zeigte sich, daß mein Grundschema bei Bemühungen um das "Hannelius-Thema im Selbstmatt" bereits entdeckt worden war; die größte Nähe findet sich in Nr. 20: Die schwarze Batterie zielt von f6 nach c3, und die neuralgischen Felder sind f4 (gedeckt durch wD und wLd2) und e6 (gedeckt durch wD und wBd5). Die Verführungen 1.d6? [2.De6+] T:d2! und 1.Le1? [2.Df4+] c:d5! zeigen im Zusammenhang mit den Lösungsabspielen 1.Lg6! [2.Dd4+] c:d5/T:d2 2.De6+/Df4+ K:D# ganz ähnlich wie in Nr. 19 das Hannelius-Thema. Jedoch merkt man an der Variante 1.- T:d2, daß der Autor offenbar gar nicht an der Motivinversion interessiert war: Das Verteidigungsmotiv dieses Zuges ist nämlich die Ermöglichung des Zuges Kc3:b4 (für den Fall, daß Weiß seinen Drohplan 2.Dd4+ c:d4+ ausführen sollte); das Eliminieren des wLd2 ist dabei rein akzidentell, weil der sTb2 schlicht kein anderes Feld zur Aufgabe der Deckung von b4 hat als das Feld d2. Die damit einhergehende Beseitigung der Deckung von f4 hat also mit dem Verteidigungsmotiv nicht das Geringste zu tun, ist aber das, was Weiß an diesem Zug ausnutzt: Ermöglichung des Zuges Ke5:f4 nach 2.Df4+!. Wenn auch Nr. 20 nicht das thematische Ziel von Nr. 19 hat und somit kein Beitrag zu dem von Rudenko gestellte Thema wäre, so nimmt sie doch in ihrer Matrix ganz wesentliche Teile vorweg. Trotzdem empfand ich die Weiterentwicklung durch Nr. 19 in Richtung auf das Gedankengut der Motivinversion gerade angesichts der "Janus"-Themenstellung als hinreichende Rechtfertigung, Nr. 19 zu dem Turnier einzusenden, selbstverständlich unter deutlicher Angabe der Nr. 20 im Diagramm. Umso erstaunter war ich bei Empfang des Preisberichts darüber, daß a) die Aufgabe eine hohe Auszeichnung (die zweithöchste der Gruppe) erhalten hatte, vor allem aber darüber, daß b) darin auf Nr. 20 (oder evtl. einen anderen Vorläufer) in keiner Weise irgendein Hinweis zu finden war!
Nr. 21 hat zwar nur eine Phase zu bieten, darin aber ziemlich starken Tobak: 1.Le6! droht 2.T:c3+ S:c3#. Jede Entfesselung der sD durch Verstellung des wTd8 verteidigt dagegen, da sie den Zug Dd4:c3 (nach Ausführung der weißen Drohung) ermöglicht. In der Erwartung einer Motivinversion im engeren Sinne stutzt man schon: Wie soll denn die Ermöglichung genau dieses schwarzen Damenzuges von Weiß genutzt werden können? Hatten wir nicht gerade zuvor bei Nr. 19 der Varianteneinordnung des Richters entnommen, daß er Motivinversionen im weiteren Sinne als unthematisch ansehe? Bei Nr. 21 ist aber plötzlich 1.- Ld7 2,Lc4+ D:c4# als Themavariante aufgeführt, obwohl sich der Motivationszug der Verteidigung (Dd4:c3) von dem der weißen Nutzung (Dd4:c4) klar unterscheidet! In der Themenformulierung heißt es: "Same tactical idea of Black's first move is used both for strengthening (defending against the threat) and weakening (motivating White's 2nd-move response)". Da ist also keine Rede von engem oder weitem Sinn, sondern von einer nicht näher definierten "taktischen Idee". Man mußte sich offenbar dem Geschmack des Richters (der allerdings sicherlich kein schlechter ist) anvertrauen in der Frage, was als solche Anerkennung finden wurde und was nicht. Hier jedenfalls geht es nicht um zuggenaue Motivinversionen, sondern um strategische Effekte (nämlich Entfesselungen), die eigentlich eine ganz andere Schublade betreffen! Abgesehen von solcher Irritation bezüglich ungleichen Maßes an thematischer Rigorosität bei der Behandlung der Einsendungen wird man aber nicht bestreiten, daß Nr. 21 ein hervorhebenswertes Selbstmatt ist: Stellt man sich eine sozusagen "gesichtslose" schwarze Figur vor, die die Fesselung der sD aufhebt, so hat Weiß prinzipiell zwei passende Antworten darauf: 2.1x4+ (wie schon gesehen), aber auch 2.Sb4+ nebst 2.D:b4# - nur scheidet letztere nach 1.- Ld7 wegen der damit "zufällig" einhergehenden Fesselung des wScö aus. Mit 1.- Td5 kann Schwarz seine Dame auch so entfesseln, daß der wLeö von c4 abgeschnitten wird - und dann verbleibt 2.Sb4+ D:b4#. Die beiden bislang betrachteten (Entfesselungs-)Paraden zeigen damit Dualvermeidung. Alle beide weißen Antworten verhindert nun der dritte mögliche Entfesselungszug 1.- Sd5(!): Offensichtlich wird der Läuferzug nach c4 durch Verstellung unterbunden; aber - wie etwa die Satzstellung belegt - selbst wenn 2.Lc4+ möglich wäre, käme es damit wegen der mit 1.- Sd5 vollzogenen Entfesselung der wD nicht zum Matt: insofern ist auch 1.- Sd5 hinsichtlich der Verteidigung gegen 2.Lc4+ doppelmotivisch. Darüber hinaus verteidigt 1.- Sd5 auch gegen das Springerschach auf b4 - wieder motivunrein: durch die Ermöglichung des Zuges Sd5:b4 sowie die des Zuges Dc5:b4 aufgrund der Entfesselung der wD. Letztere ist es, die Weiß nun abschließend nutzt: 2.Dc4+ D:c4#. Man beachte, wie dabei das (Teil-)Verteidigungsmotiv (von 1.-Sd5) der Ausschaltung des Zuges Le6:c4 zum weißen Vorteil genutzt wird. Die Steigerung der dualvermeidenden Entfesselungen 1.- Ld7/Td5 zur fortgesetzten Verteidigung 1.- Sd5(!) ist gut gelungen. Die durchaus knifflige Motivanalyse jedoch zeigt, daß die Stärke des Problems eher in seinem komplexen strategischen Gehalt begründet ist als in seinen Motivinversionen: Alle diese sind nämlich nur solche im weiteren Sinne, und die krönende Variante 1.- Sd5 in doppelter Hinsicht motivunrein.
Es folgen noch ein ehrend erwähnter Einphaser von M. Marandyuk, in der Motivinversionen (im engeren Sinne) erneut durch den sK als Batteriestein (nach demselben Grundprinzip wie in Nr. 19, aber in völlig anderem Schema ohne Wechsel-Ambitionen) erzeugt werden, und eine belobigte Aufgabe von M. Khramtzow, in der alle drei Varianten wieder nur Motivinversionen im weiteren Sinne zeigen.
Insgesamt bestätigt der Preisbericht, daß es für Motivinversionen im Selbstmattzweizüger wahrscheinlich keine genügende Breite gibt, wenn man sie sich als Hauptthema vornimmt und sie in der zuggenauen Form darstellen möchte. Das wird erst ab der Zügezahl 3 anders, wofür es inzwischen zahlreiche Beispiele gibt. Dennoch zeigt das Turnier, vor allem im thematisch freien Teil der Selbstmatt-Abteilung, daß Motivinversionen als Ingredienz auch bei Selbstmattzweizügern für Tiefe sorgen können: Bringen sie doch unfehlbar, aus ihrer Natur heraus, selbstmattypischen Gehalt in die Aufgabe. Das gilt in der Regel auch für Motivinversionen im weiteren Sinne. Solche festzustellen sagt nur etwas über die Natur des Mechanismus, nicht aber über die Qualität der betreffenden Aufgabe aus, soll also allenfalls innerhalb der thematischen Bindung eines darauf ausgerichteten Turniers, nicht aber im absoluten Sinne als negative Kritik verstanden werden. Alle Freunde des Selbstmatts schulden Valentin Rudenko besonderen Dank dafür, das Gebiet des Selbstmattzweizügers und insbesondere den mit „Ja-nus" benannten Effekt durch sein Turnier in allgemeine Aufmerksamkeit gerückt zu haben. Und hört man diesen römischen Gott nicht aus historischer Feme raunen: „ad multos annos..." ?

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